Einmal die Nacht zum Tage machen – das bekommt während der Weißen Nächte in St. Petersburg eine ganz neue Bedeutung. Ich wollte unbedingt einmal erleben wie es ist, wenn die Sonne gar nicht erst untergeht. Der Zufall wollte es, dass mein Freund und ich ohnehin eine Reise nach Moskau für Mitte Juni geplant hatten. Also beschlossen wir, diese Fahrt etwas auszudehnen und das Wochenende dafür zu nutzen, das Phänomen der Weißen Nächte mit eigenen Augen zu sehen.
Abenteuerliche Vorbereitung
St. Petersburg ist etwa 700 km von Moskau entfernt. Wir hätten fliegen können. Doch allein der Weg zum Flughafen hätte mindestens 90 Minuten gedauert und versprach wenig Entspannung. Ich hörte, der Zug fährt nur 4 Stunden, der Leningradskoye Bahnhof ist im Stadtzentrum leicht erreichbar und die Route eine der ältesten Eisenbahnstrecken Russlands. Also war unsere Entscheidung gefallen. Beim Prüfen der Optionen stieß ich auch auf einen Nachtzug. Warum nicht? Wir könnten uns abends in den Schlafwagen legen und wären am nächsten Morgen am Ziel. War das auch wirklich sicher? Einheimische sagten mir „Ja“, man könne die Abteiltür der Zwei-Personen-Wagons ja abschließen. Also los.
Die Tickets erstand ich mit einer Mischung aus russischen Sprachbröckchen, Englisch sowie Händen und Füßen einige Tage vorab am Bahnhof. Der Verkäufer sprach nur Russisch, aber er schien zu verstehen, dass ich eine 2-Personen-Schlafwagenkabine bestellte. Spannend. Mit den Tickets in der Hand konnte das Abenteuer beginnen.
Es geht los
Am Freitagabend fuhren wir also zum Leningrader Bahnhof. Kurz vor Mitternacht sollte es losgehen. Eine freundliche Schaffnerin zeigte uns unseren Wagon. Als wir das Abteil erreichten, waren wir überrascht: Es gab vier Betten! Ok, dann hatten wir wohl die Wahl, wo wir schlafen wollten. Also Gepäck nach oben und unten bequem gemacht. Es gab Kopfkissen, Decken und sogar Stoffpantoffeln. Wenige Augenblicke vor der Abfahrt öffnete sich die Abteiltür, zwei junge Männer traten ein. Sie gaben uns zu verstehen, dass sie die beiden oberen Betten gebucht hatten. Oh. Dann hatten meine Sprachkenntnisse wohl doch nicht gereicht. Was nun? So hatten wir uns das nicht vorgestellt, doch wir beschlossen, abzuwarten. Der Zug setzte sich in Bewegung. Etwas angespannt legten wir uns auf die Betten, die Taschen mit den Wertsachen eng am Körper. Aber bald stellten wir fest, dass die beiden Männer schon eingeschlafen waren. Wir entspannten uns etwas, aber die Angst ließ uns nicht los.
Wirklich erholsamer Schlaf sieht anders aus, aber irgendwann in dieser Nacht sind auch wir eingeschlafen. Am Morgen, als der Schaffner freundlich klopfte und Tee anbot, waren wir ziemlich gerädert. Alles war gut und wir waren kurz vor dem Bahnhof in St. Petersburg. Die beiden jungen Männer hatten sich die ganze Zeit nicht geregt und waren bei Ankunft so schnell verschwunden wir sie gekommen waren.
Angekommen und belohnt!
Nun waren wir also da - St. Petersburg zur Zeit der Weißen Nächte. Nachdem wir ins Hotel eingecheckt hatten, sahen wir uns die Stadt an. Das ganze Programm: Auferstehungskirche, Newski-Prospekt, Admiralität, Peter-und-Paul-Festung, Isaak-Kathedrale mit herrlichem Blick über die Stadt, eine Bootsfahrt durch die innenstädtischen Kanäle… Wir waren uns einig: St. Petersburg konnte mit Paris und Rom problemlos mithalten. Eine tolle Stadt! Am Abend gingen wir dann etwas erschöpft in ein Restaurant. Es lag im Souterrain und als wir uns gegen 23 Uhr erhoben, fühlte es sich an wie Nacht. Der Raum war dunkel und auch wir waren nach der Zugfahrt sowie den Wanderungen des Tages bettreif. Als wir aber auf die Straße traten, waren wir fasziniert. Es war hell, doch das Licht war außergewöhnlich. Einfach unglaublich. Alles wirkte so warm, fast golden angehaucht. Wir spazierten durch die Stadt und die Müdigkeit verflog. Keiner schien hier ans Schlafen zu denken. Es wurden Bootsfahrten angeboten, Stadtrundgänge. Gegen 2 Uhr nachts wurden auch noch die Brücken der Newa geöffnet.
So lange hielten wir nach unserer schlafarmen letzten Nacht leider nicht durch, sondern fielen irgendwann einfach nur ins Bett. Am nächsten Tag besuchten wir noch Schloss Peterhof bevor wir uns wieder auf den Rückweg nach Moskau machten – diesmal mit dem 4-Stunden-Schnellzug.
Die Reise hat sich gelohnt. Es war ein wahr gewordener Traum, ein echtes Abenteuer. Doch wann immer wir von der Reise berichteten, erzählten wir vor allem von unserer Nachtzug-Fahrt. Neben all den unvergesslichen Eindrücken von den berühmten Weißen Nächten war sie wohl das eigentliche Abenteuer.