Paris: Eine Traumstadt in Zeiten wie diesen
Die Stadt der Liebe - und die Angst vor dem Terror
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Wir hatten die Zugreise gebucht, saßen in Gedanken schon in dem malerischen Innenhof unseres Hotels und unsere Kinder redeten seit Wochen nur noch vom Eifelturm – dann kamen die Anschläge von Brüssel. Von einem Moment auf den anderen wurde aus Begeisterung Entsetzen. Unsicherheit verdrängte unsere Vorfreude. Die schrecklichen Bilder aus Belgien riefen uns sofort die Anschläge vom 13. November in Erinnerung, als Terroristen fast zeitgleich an fünf Orten in Paris zuschlugen.
Wie verrückt muss man sein, um in Zeiten wie diesen nach Paris zu fahren? Ist es nicht unverantwortlich, wenn wir unsere Kinder möglichen Gefahren aussetzen?
Die Unsicherheit ging in diesem Entscheidungsduell früh in Führung und wir waren kurz davor, die geplante Traumreise auf einen besseren Monat zu verschieben. Aber wann kommt dieser bessere Monat für einen Kurztrip in eine Metropole wie Paris? Wann ist man jemals wirklich sicher?
Letztlich entschieden wir uns aus einer Mischung aus Berechnung (warum sollte es ausgerechnet uns treffen?), Geiz (das Hotel war nicht mehr stornierbar) und Feigheit (Eltern wissen, was ich meine) dafür, unsere besondere Reise einfach anzutreten – und besonders war sie:
Begeisterung oder Angst – wer behält die Oberhand?
Bereits der erste Spaziergang nach unserer angenehmen Fahrt im Hochgeschwindigkeitszug zeigte es deutlich: In Paris treffen derzeit die Schönheit der europäischen Vergangenheit und die immerwährende Angst einer gefährlichen Gegenwart brutal aufeinander. Sacré Coeur, Notre Dame, der Louvre und der Triumphbogen – die Sehenswürdigkeiten von Paris sind so sichtbar und über die Stadt verbreitet wie Sicherheitskontrollen, mit Maschinengewehren bewaffnete Soldaten und Polizeipatrouillen.
Doch wie lässt sich das Wunderbare genießen und die Angst ertragen? Eines ist sicher: Verdrängen und Vergessen ist unmöglich. Für Bewohner und Besucher von Paris ist die Möglichkeit eines weiteren Anschlags allgegenwärtig. Die verschärften Sicherheitsvorkehrungen sind immer und überall bemerkbar. Irgendwie liegt permanent und überall eine gewisse Spannung in der Luft.
Wer der Gleichung „mehr Sicherheitskräfte bringen mehr Sicherheit“ zustimmt, wird sich gut geschützt fühlen. Und natürlich stimmt die Gleichung aus rein mathematischer Sicht. Dennoch blieb für uns die Frage offen, ob sich Millionenstädte generell sichern lassen. Was bringen Patrouillen in einzelnen Metro-Stationen, wenn Züge im 5-Minuten-Takt in einem riesigen Netz mit Hunderttausenden täglichen Fahrgästen unterwegs sind? Wie wirkungsvoll sind Personenkontrollen, wenn sie nur aus einem flüchtigen Blick in den Rucksack des männlichen Touristen bestehen – dabei aber Jackentaschen oder Fotoausrüstung unkontrolliert sowie von Frauen getragene Gegenstände generell als unverdächtig durchgehen?
Es ist völlig klar, dass nicht jede Metro-Station, jede Straße und jeder Passant effektiv kontrolliert werden kann – und wenn man es versuchen würde, wäre es höchst ineffizient. Doch umgekehrt kommen mir als normalem Touristen und Sicherheitslaien Zweifel, ob sich ein zu allem entschlossener Attentäter, der sogar sein eigenes Leben für den Zweck opfern würde, von stichprobenartigen Kontrollen fangen oder zumindest abschrecken ließe.
Vermutlich ist die wirkliche Prävention von Anschlägen nicht das eigentliche Ziel der sichtbaren Präsenz der Staatsorgane – Pläne von Terroristen aufzudecken und zu vereiteln erfordert Detailarbeit und geschieht sicher eher im Hintergrund als direkt vor dem Eifelturm. Sind bewaffnete Patrouillen deshalb eher als Zeichen an die Bewohner und Besucher von Paris zu verstehen, dass sie sich sicher fühlen und ihr Leben normal weiterführen können? Mehr als die Hälfte der Paris-Besucher, denen ich diese Frage stellte, betonten, dass sie die polizeiliche Präsenz und gelegentliche Kontrollen begrüßen und ihren Urlaub wie in normalen Zeiten genießen.
Für mich persönlich sieht „Normalität“ anders aus.
Eine Ode an die Freude und Verdrängung
Aber auch ich fühlte mich nicht unsicher oder verängstigt – und zwar aus den gleichen Gründen, die ich einige Zeilen zuvor als Argument gegen die Wirksamkeit der Kontrollen anführte: So gering die Wahrscheinlichkeit ist, einen möglichen Attentäter aus den Millionen Menschen in Paris herauszufischen, so unwahrscheinlich ist es mathematisch auch, dass gerade ich mich in dem einen Moment an der einem Stelle aufhalte, an der etwas passiert. Die Wahrscheinlichkeitsrechnung wirkt also in beide Richtungen.
Mathematik beiseite: Ob du auf dein Glück oder die Polizei vertraust, was auch immer dein Grund ist – die Angst darf nicht die Überhand gewinnen und du solltest dich auch in Zeiten wie diesen nicht davon abhalten lassen, begeisternde Dinge zu tun. Lebe dein Leben, auch wenn es mit Risiko verbunden ist – denn ganz ohne Risiko geht es sowieso nicht.
Unsere Kinder liebten das französische Baguette und jagten Seitenblasen vor dem Hôtel de Ville. Der Eifelturm war noch höher als sie ihn sich vorgestellt hatten und die Hütchenspieler am Trocadero beeindruckten sie viel mehr als die Soldaten mit ihren MGs (apropos Hütchenspieler: Bei ihnen schnell 100 Euro zu verlieren ist offensichtlich eine Erfahrung, die Menschen unbedingt selbst machen müssen, wie wir in einer längeren Pause erstaunt beobachten konnten – doch die Psychologie dahinter verdient einen eigenen Artikel).
Was es auch ist, dass dich nach Paris lockt – tue es ohne Furcht: Genieße einen Café au Lait zum zweiten Frühstück, wage ein Tänzchen zu den Klängen der Straßenmusiker oder genehmige dir eine Pause in einem der malerischen sonnigen Gärten.
Diese Stadt ist zu schön, um ihr mit Angst zu begegnen und muss auch (oder gerade) in Zeiten wie diesen in vollen Zügen genossen werden.
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